Matchreport

FC Floriana – Hibernians

Einmal im Leben Teil einer Meisterfeier im Stadion sein. Ich gebe zu, neu ist dieses Erlebnis nicht. Allerdings war es bei dieser Erfahrung der Gegner meines Vereins, der in unserem Stadion Meister wurde, weshalb das eher nicht als so cool in Erinnerung blieb. Eine Meisterfeier mit dem eigenen Verein wird mir auch auf ewig verwehrt bleiben (Zweitligameisterschaften zählen nicht!), also bleibt ja nur die Flicht ins Ausland. Und wenn man dann dort von der Meisterschaftsfeier völlig überrumpelt wird, weil die vorherige Beschäftigung mit der örtlichen Tabellensituation doch nicht so tiefgehend war wie eigentlich notwendig, ist die Freude um so größer.
Es trug sich also zu am 18. April. Mein Flieger war erst knappe zwei Stunden vorher auf Malta gelandet, schon liefen die Spieler vom FC Floriana und den Hibernians aus Paola auf den Rasen des Ta‘ Qali-Nationalstadions in Attard. Meine Erwartungshaltung war irgendwie… tja, wie war die eigentlich? Ehrlich hatte ich keine. Also nicht im Sinne von null Erwartung, sondern im Sinne von völliger Ungewissheit. Klar hatte man sich im Vorfeld der Tour versucht zu informieren, Fotos im Internet gesucht, alte Fanzines durchwühlt, auch ein gar nicht mal so uninteressantes Video vom FC Valetta entdeckt. Hatte die Einschätzungen anderer Fußballreisender gelesen, die von „so niedrige Erwartungen hätte man gar nicht haben können, um nicht enttäuscht zu werden“ und „aber außer ein paar Schlachtrufen und etwas Gesang nach Toren wird es nichts geben“ bis hin zu ganz wohlwollenden Einschätzungen diverser Fanszenen reichten. Ich gebe aber zu, den größten Anteil an der Vorfreude hatte die Aussicht auf gutes Wetter und eine interessante Insel, vom Fußball wollte man sich einfach mal überraschen lassen. Und das ist ja in Zeiten wie diesen, wo man von fast jeder Szene tausende Fotos und Videos sehen kann, schon mal viel wert.
Zurück zum Spiel. An der Kasse musste man – wie vorher schon oft gelesen – eine Entscheidung für eine Mannschaft treffen. Auf Malta ist das sonst übliche Heimrecht nicht bekannt, alle Erstliga-Spiele werden in vier Stadien ausgetragen, immer als Doppelveranstaltung, je eine Stadionhälfte gehört dann je einer der beteiligten Mannschaften. Instinktiv wurde ich also zum Floriana-Fan, und das war goldrichtig. Der Anblick von mit Trommeln und Fahnenstöcken bestückten Jungspunden, die kurz vor mir die Tore passierten, ließ zwar ahnen, dass ich nun mitten in einem Fanblock stehen würde. Am Ende blieb es aber auf Seiten der Grün-Weißen bei fünf Trommeln (normale und Snares) samt dazugehöriger Menschen, die vollkommen wahllos, unkoordiniert und schon nach kurzer Zeit entnervend darauf rumhauten, und noch einmal fünf trommelloser Fans mit Trikots und einer Schwenkfahne. Ganz, ganz selten gab es mal einen Schlachtruf oder das allseits beliebte „Dale Boca“. Eine Zaunfahne kündete von der Exitsenz eines Floriana Supporter Clubs, der sogar schon 1988 gegründet wurde, vorne am Plexiglas hingen – das hatte sogar Stil – Girlanden in den Vereinsfarben. Typischer Fall also von nicht vorhandener Erwartung, die somit auch nicht enttäuscht werden konnte. Ein nach der Tour entdecktes Video vom Derby gegen Valetta vor sieben Jahren mit vollem Block und zahlreichen Fahnen ließen dann zwar Fragen nach dem Abbleiben all dieser Leute aufkommen, aber an disem 18. April war das ja egal.
Legen wir also den Blick auf den Anhang aus Paloa, der auf der selben Tribüne untergebracht war. Für Fotos also eine eher suboptimale Position, auch eine akustische Bewertung fällt von der Seite eher schwer. Wer weiß also, wie mein Fazit ausgefallen wäre, wenn ich drüben, auf der menschenleeren (weil gesperrten) Tribüne gesessen hätte? Ist ja auch egal, ich saß nicht dort, und doch konnte mich der Auftritt der Palo Boys Hibs Ultras samt Gefolge absolut begeistern. Das hat vor allem etwas mit drei Faktoren zu tun, die sich selbst wiederum bedingen: 1.) Erwartungshaltung. 2.) Relation. 3.) Konkretes Geschehen.
Fangen wir mit dem ersten Punkt an. Wie bereits erwähnt, hatte ich keinerlei Erwartung, auch nicht an die Paola Boys, obwohl das eine der wenigen Gruppen war, die mir vorher schon dem Namen nach absolut geläufig waren. Und dann erblicken meine Augen schon vor Anpfiff einen proppevollen Block, sechs Schwenkfahnen, die zwar gedruckt aussehen, aber immerhin teilweise auch mit „ULTRAS“-Schriftzug bestückt sind, zwei Leitern als Capo-Podeste, eine lange „ULTRAS“-Zaunfahne – wenn auch mit geklautem Logo – an der Seite, eine komplett mit Fahnen zugehängte Kurve, und auch die ersten Gesänge ertönten schon.
Zu Spielbeginn hatten die beiden Herrschaften auf den Leitern dann einiges zu tun, mussten sie doch koordinieren, dass zum einen im oberen Teil des Blockes die schwarz-weiß-gelbe Blockfahne heruntergeogen wird, und zum anderen sich die kleinen schwarz-weißen Plastikfähnchen im unteren Bereich nicht mit den großen Fahnen ins Gehege kommen. Alles klappte, das Intro war damit gezeigt, so dass sich der Anhang der stimmlichen Darbietung widmen konnte. An diesem Punkt kurzer Einhalt und Blick auf den eben erwähnte Punkt 2, die Relation. Denn alles, was ich hier schon beschrieben habe oder noch beschreiben werde, hat man natürlich irgendwo und überall schon wesentlich besser gesehen auf dieser Welt. Alle Lobpreisungen müssen daher in Relation zu bisher Gesehenem und – womit wir wieder bei Punkt 1 wären – der Erwartungshaltung betrachtet werden.
Also kommen wir zu diesen Lobpreisungen, denn was die Jungs und Mädels aus ihren Stimmbändern und Armen rausholten, war aller Ehren wert. Aus den Armen? Ja, hier auf Malta – siehe Floriana, und auch am nächsten Tag konnte das beobachtet werden – setzt man auf Snare Drums. Was in Argentinien normal und authentisch ist, bei Zwickau vielleicht auch noch irgendwie angemessen, aber ansonsten nur noch nervt, kam hier verdammt cool rüber. Zumal nicht einfach auf Teufel komm raus versucht wurde, einen coolen Beat hinzuzaubern. Hier unterstützte die Snare die Lieder, hier waren die Jungs an den normalen Trommeln und der an der Snare perfekt aufeinander abgestimmt, hier fetzte das Gehörte. Es gab einen mehrminütigen Trommelpart, der sich dann als Einleitung zu einem Lied entpuppte. Es gab Trommelsoli. Und es gab vor allem richtig coolen Gesang. Oft auch sehr laut, sehr melodisch, größtenteils unbekannt und ungewohnt. Mit viel gutem Willen und geschlossenen Augen hätte das hier auch ein argentinischer Drittliga-Kick sein können. Einfach ein guter Mix. Auch sprachlich. Denn nach einem langgezogen „Campione, Campione, Campione, ale ale“ kam auch mal ein „We are the Champions“ als Schlachtruf. Dazwischen dann Lieder als maltesisch, einer Sprache, die sich ihrerseits wieder am Italienischen, Englischen und Arabischen orientiert. Gedanken an den Aufenthalt in Marokko vor einem halben Jahr schossen automatisch in den Kopf.
Und als sich das Spiel dann dem Ende entgegen neigte, immer mehr Hibernians-Fans die Plexiglas-Scheibe erklommen und die „Campione“-Rufe lauter und lauter wurden, ging es auf einmal wieder um die Erwartung. Denn ich wusste zwar, dass die Hibs Tabellenführer waren. Dass mit diesem Sieg aber die Meisterschaft unter Dach und Fach gebracht werden konnte, war mir neu. Und schon flogen die Rauchtöpfe in den Bereich zwischen Block und Spielfeld, es lag ein Hauch von Ekstase in der Luft – und ich war schon jetzt zufrieden mit dieser Reise.
Währenddessen machten sich in meinem Block schon die Ultras der Tarxien Rainbows daran, die Zaunfahnen der Floriana-Supporters durch ihre eigenen zu ersetzen. Alles ganz ohne Stress, in aller Ruhe. So ist das hier auf Malta, wenn zwei Spiele hintereinander stattfinden. Und während ich schnell rüberhopste, um das benachbarte Centenary Stadium einzutüten, fuhren die Hibernians-Fans hupend davon. Schöne Meisterfeier, und ich mittendrin. Vielen Dank!